Bewertung

Review: #15.21 Das schwarze Schaf

Foto: Ellen Pompeo, Grey's Anatomy - Copyright: 2019 ABC Studios; ABC/Eric McCandless
Ellen Pompeo, Grey's Anatomy
© 2019 ABC Studios; ABC/Eric McCandless

Die Shepherds wurden seit Beginn der Serie als ziemlich perfekte Familie dargestellt. Derek erzählt direkt in der zweiten Folge von seiner Familie, die sofort alles stehen lassen würde, wenn es ihm schlecht gehen würde. Wie aber in dieser Episode deutlich wird, ist das allein Dereks Erfahrung und lässt sich keineswegs auf alle seiner Familienmitglieder übertragen. Insbesondere nicht auf Amelia: Wir wussten natürlich, dass ihr Verhältnis zu ihren Schwestern und ihrer Mutter sehr angespannt ist, aber die Ereignisse dieser Folge machen schmerzhaft bewusst, wie Amelia den unfairen Status als schwarzes Schaf mit ihrem Spitznamen "black sheep" quasi immer wieder vors Gesicht gehalten wurde und sie nicht aus dieser Rolle rauszukommen scheint. Perfektion sieht wahrlich anders aus.

Und was tut man dann, wenn man plötzlich in eine seiner perfekten Schwestern rein läuft? Natürlich, man gibt ein glückliches Leben vor, um endlich einmal die Familie von sich beeindrucken zu können und gibt die Affäre als Ex-Ehemann aus. Dieser Kniff, bekannt aus zahlreichen romantischen Komödien, verwenden die Autoren, wodurch Amelia Link als Owen ausgibt und mit ihm auf ein Dinner mit ihren Schwestern geht. Da ist Chaos natürlich vorprogrammiert. Es entsteht dadurch aber auch eine der lustigsten Folgen seit langem, in denen ein Lacher den nächsten jagt und gerade das Zusammenspiel von Amelia und Link wunderbar witzige Szenen hervorbringt.

Amelias Schwestern sind aber auch wirklich schrecklich. Sie wissen die meiste Zeit nicht, wie sie mit Amelia umgehen sollen und sind mit ihrer Sucht restlos überfordert, was in wahrlich unangenehmen Momenten mündet. Nancy wirkt angenehmer als bei ihrem ersten Auftritt, da sie sich um alle kümmern möchte und macht somit einen durchaus positiveren Eindruck als Kathleen. Kathleens Darstellung als zickige, arrogante und überhebliche Frau, die kein gutes Haar an ihrer kleinen Schwester lässt, überrascht mich etwas, wurde sie doch bei Erwähnungen in der Serie doch mit wohlwollenden Worten von Meredith und Derek bedacht. Gerade als Psychiaterin müsste man doch besser mit Suchtkrankheiten umgehen können und diese nicht als Sucht nach Drama fehlinterpretieren dürfen.

Als der Bluff von Mama Shepherd aufgedeckt wird, die Link als Fake-Owen erkennt (ein wahnsinnig komischer Moment übrigens) muss sich Amelia daher von ihren Schwestern noch weiter herabsetzen lassen, als es davor der Fall war. Ein Vorwurf folgt dem nächsten, eine demütigende Anekdote wird an die andere gereiht und das Bild von Amelia als überemotionale, impulsive, dramabesessene Dampfwalze, die ihre Familie schlecht behandelt, kristallisiert sich heraus. Die Enthüllung, dass die Schwestern trotz ihrer Abwesenheit an Amelias Hochzeit über die Dauer ihrer Ehe mit Owen gewettet haben, fasst so ziemlich den Umgang der Schwestern mit Amelia zusammen. Amelia will sich verteidigen und hält eine grandiose Rede, doch keiner ihre Erfolge, keine ihrer herausragenden Eigenschaften wird dabei gewürdigt. Man kann echt nur noch Mitleid mit ihr haben.

Ich weiß persönlich nicht, ob es wirklich so nötig war, Nancy und Kathleen so negativ darzustellen. Man hätte sie meiner Meinung nach ruhig dreidimensionaler sein lassen können, anstatt sie als die Ausgeburt der bösen Stiefschwestern zu porträtieren. Natürlich sorgt das für ein entsprechendes Bild und Mitgefühl mit Amelia ist so garantiert. Dennoch frage ich mich, ob es nicht spannender gewesen wäre, mehr vielschichtige und so intensivere Konflikte zu kreieren, in denen keine der Schwestern die Rolle des Bösewichts zugeschrieben wird und einfach ihre komplizierte gemeinsame Vergangenheit und die Verluste des Vaters und Dereks für Reibereien gesorgt hätten. So wirkt das Ganze doch etwas platt und durchsichtig und insbesondere Kathleen verkommt insgesamt zur Karikatur.

Mama Shepherd, Carolyn, hingegen kann vieles in dieser Folge wieder

gutmachen, was Amelias Schwestern davor kaputtgemacht hatten. Anders als mit Derek oder Mark, mit denen sie bei ihrem ersten Auftritt extrem entspannt und liebenswürdig umgehen konnte und die Weisheit in Person quasi repräsentierte, ist sie mit Amelia radikal überfordert. Dies zeigt sich unschwer beim Abendessen, als sie nicht wie ihre Töchter Amelia Vorwürfe macht, sondern eher fassungslos von den Enthüllungen über sie ist. Das klärende Gespräch der beiden Frauen war eines meiner Highlights in dieser Folge, entschuldigt sich Carolyn nämlich in diesem bei Amelia für ihre Fehler in Amelias Erziehung und für ihre Abwesenheit in Amelias Krisen. Amelia war ihrem verstorbenen Vater am ähnlichsten und ihr Anblick allein bereitete ihrer Mutter Schmerzen, weswegen sie ihre elterlichen Pflichten an Derek abtrat, der so zum Elternersatz für Amelia herhalten musste. Das erklärt auch Addisons und Merediths Rollen in Amelias Leben, die wohl nicht nur Schwestern-, sondern auch Elternersatz für Amelia gewesen sein mussten. Carolyns Worte, dass Amelia Liebe und gerade die Liebe einer Mutter mehr verdient hätte, als sie es sich selbst zugesteht, müssen Balsam für ihre Seele sein. Das Gespräch scheint den beiden Frieden zu geben und wer weiß, vielleicht ist das ja ein Neubeginn für die Shepherds. Ein weiterer so schöner Gastauftritt von Tyne Daly, der diese zaghafte Annäherung von Mutter und Tochter fortsetzt, sollte doch einzurichten sein.

Für mich das schönste an dieser Folge war jedoch die weitere Annäherung von Link und Amelia. Nicht nur, dass die beiden eine unglaubliche Chemie teilen, die in wahnsinnig schönen und romantischen Momenten resultiert, sondern er ist ein wahnsinnig guter Partner für Amelia. Er unterstützt sie komplett, sieht sie als vollen und vor allem guten Menschen, der es verdient, geliebt zu werden, wie sie ist und verteidigt sie vor ihrer Familie, als diese über sie herfällt. Keinen Moment verlässt Link Amelias Seite und hat sie scheinbar in wenigen Tagen so kennen und –schätzen gelernt, wie sie es verdient – ihre Emotionalität und ihre Impulsivität nimmt er als scheinbar einzige Person nicht als Makel, sondern als ihre Stärke auf. Diese Folge ist ein reines Plädoyer für alle, die Amelia und Link zusammen sehen wollen und für alle, die mit Owen und Amelia abgeschlossen haben. Dies wird für mich insbesondere in einer sehr subtilen Szene deutlich: Als Amelia sich ihren Schwestern gegenüber rechtfertigen muss und diese beginnen, Wein zu trinken, überlegt Link für einen Moment lang, sich ebenfalls Wein einzuschenken, lässt dies doch bleiben. In vergleichbaren Momenten hat Owen hingegen zur Flasche gegriffen und war nicht für Amelia da. Somit wirkt Link noch perfekter für Amelia als ohnehin schon und ich hoffe inständig, dass man diese positive Entwicklung fortsetzt.

Kurze Eindrücke

  • Warum weiß Nancy nichts von der Umbenennung des Harper-Avery-Awards, wenn sie selbst gerade an einem Catherine-Fox-Krankenhaus arbeitet? Wenn das ein Kommentar auf Nancys vermeintliche Konservativität sein soll, dann ist dieser doch etwas ungeschickt
  • Mittlerweile vermute ich auch, dass Derek die Familie gewissermaßen zusammengehalten hat. Sein Tod wurde zwar überraschenderweise nicht großartig in dieser Folge angesprochen, doch es war schön zu sehen, wie Amelia ihn immer noch vermisst und an ihn denkt. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass Derek Amelia in diesem Abendessen ebenfalls verteidigt hätte.
  • Der Fall um die beiden Brüder Jonah und Brady war wesentlich unspektakulärer als es zunächst den Anschein hatte und die relativ leichte Lösung wirkte doch etwas weit hergeholt. Als Kontrastfolie zu Amelias komplizierter Familie funktionierten die beiden jedoch hervorragend und Amelia durfte ihre herausragenden chirurgischen Fähigkeiten unter Beweis stellen, was ihr wieder Selbstbewusstsein geben konnte.
  • Es ist mir schleierhaft, warum Ellen Pompeo in dieser Folge das Voice-Over gibt. Das ist mir bereits in #15.19 Silent All These Years aufgefallen und auch hier finde ich es merkwürdig, dass nicht die Figur, auf die sich die Folge demonstrativ bezieht, diese mit ihren eigenen Gedanken ein-und ausläuten darf. Hat Ellen Pompeo etwa eine neue Klausel im Vertrag?

Fazit

Die Folge endet mit einem wunderschönen Bild: Meredith und Maggie, die auf Amelia warten, nach ihrer Reise nach New York fragen, wissen wollen, wie es Amelia geht und für sie da sind. Familie müssen nicht unbedingt die Menschen sein, mit denen man verwandt ist, sondern man kann sich seine eigene Familie schaffen, mit den Menschen, die einen so lieben, wie man ist – dies ist die Botschaft, die diese Folge hinterlässt und die so typisch für diese Serie ist. Ob Amelia sich mit ihrer Familie weiterhin aussöhnen wird, wird sich noch zeigen, doch ihre Beziehung mit Link, ihre Familie in Seattle und ihre Szene mit ihrer Mutter stimmen doch sehr positiv für ihre weitere Entwicklung.

Lux H. - myFanbase

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