Bewertung

Review: #19.16 Schießpulver und Blei

Foto: Alexis Floyd & Adelaide Kane, Grey's Anatomy - Copyright: 2023 Disney und seine verbundenen Unternehmen; 2022 American Broadcasting Companies, Inc. All rights reserved.; ABC/Liliane Lathan
Alexis Floyd & Adelaide Kane, Grey's Anatomy
© 2023 Disney und seine verbundenen Unternehmen; 2022 American Broadcasting Companies, Inc. All rights reserved.; ABC/Liliane Lathan

Konsequenzen ziehen, füreinander da sein, sich aus einem Loch befreien – die Folge enthält eigentlich spannende Themen und lässt es sich dabei nicht nehmen, die großen gesellschaftlichen Debatten, die diese Staffel bestimmt haben, um weitere zu ergänzen. An manchen Stellen scheinen aber etwas merkwürdige kreative Entscheidungen getroffen worden zu sein.

So wird anhand des unter Bleivergiftung leidenden Patienten Russell aufgezeigt, wie desensibilisiert die amerikanische Gesellschaft gegenüber Amokläufen geworden ist. Tagtäglich fallen in den USA unzählige Menschen solchen grauenhaften Taten zum Opfer, und dennoch kommt es zu keiner Verschärfung der Gesetze. Die Verzweiflung, die Russell und seine Frau Grace darüber empfinden, ist somit mehr als nachvollziehbar und verdeutlicht, wie die Hinterbliebenen und Opfer dieser Gewaltakte zu leiden haben. Owen allerdings zum Gesicht dieser Storyline zu machen, mutet allerdings etwas seltsam an. Klar, von allen zurzeit im Krankenhaus arbeitenden Ärzt*innen ist Owen sicherlich derjenige, der mit seiner Schusserfahrung die grausamsten Seiten des Amoklaufes damals am meisten zu spüren bekommen hat, wobei diese Wunden eigentlich nur körperlicher Natur waren, nicht psychischer. Als damaliger Ehemann von Cristina war er allerdings stark mit den traumatischen Folgen dieser Katastrophe konfrontiert. Letzteres wird aber in dieser Episode nicht erwähnt; stattdessen wird es so dargestellt, als ob Owen selbst ein Trauma vom Amoklauf davongetragen hat. Dies mutet dementsprechend merkwürdig an und lässt es etwas so wirken, als wäre Owen gewissermaßen die Notlösung für diese Storyline, da Figuren wie Cristina oder Jackson nicht länger in Seattle arbeiten.

Apropos Cristina: Da ich mich an keine einzige Folge erinnern kann, in der sie und Addison zusammengearbeitet haben (oder kann hier jemand meinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen?), hat mich ihr großzügiges Geschenk an Addison etwas verwundert. Hier hätten doch eher Alex oder Callie gepasst. Zudem habe ich Addisons Gastauftritt ebenfalls irgendwie als deplatziert empfunden. Mit ihrem plötzlichen Auftauchen wird für mich gewissermaßen das stimmungsvolle Endbild der fortfahrenden Addison aus #19.12 Pick Yourself Up etwas beeinträchtigt, das zeigte, wie Addison auf dem Weg zu einer weiteren Mission quasi in den Sonnenuntergang fuhr. Wir erfahren, im Gegensatz zu ihrem letzten Besuch, auch wenig von ihren letzten Erlebnissen, stattdessen ist sie lediglich dafür da, Bailey und Amelia bei ihren jeweiligen Krisen zu helfen. Damit wird Kate Walsh mehr denn je wie ein reguläres Mitglied des Casts behandelt und lässt in mir Hoffnungen auf ihre vollständige Rückkehr zur Serie oder ein "Private Practice"-Revival steigen. Da das aber eine vermutlich unerfüllte Hoffnung bleiben wird, frage ich mich, worauf genau schließlich Addisons Storyline zusteuert: Soll sie für ewig mit dem Rettungswagen durch die Gegend fahren? Oder welches derzeitige Ziel wird für diesen Charakter anvisiert? Insgesamt halte ich ihren Gastauftritt in dieser Folge, so sehr ich mich immer über Addison freue, daher für etwas verschenkt.

Dennoch bleibt ihre und Baileys Storyline weiterhin für mich die stärkste dieser Staffel und ich freue mich stets über ihre gemeinsamen Freundschaftsszenen. Baileys Albtraum verschärft sich in dieser Folge, als ihr einer der Pro-Life-Aktivist*innen im Krankenhaus als Patient auflauert, ihr deutlich macht, dass er sie gestalkt hat und sie schließlich im Krankenhaus offen bedroht und sogar verfolgt. Nur dem beherzten Eingreifen von Blue ist es zu verdanken, dass Bailey nichts Schlimmeres passiert. Bailey Ausbruch und ihre Verzweiflung Addison gegenüber waren sehr bewegend und haben ihren inneren Konflikt gut verdeutlicht: Lässt sie die Wut auf die Aktivist*innen zu, spricht sie ihnen genauso die Menschlichkeit ab, wie diese das bei ihr tun. Kill them with kindness also. Doch obwohl ich die Telefonaktion sehr süß finde und ich mich freue, wie viele von Baileys Kolleg*innen und Freund*innen ihr hierbei unter die Arme gegriffen haben, glaube ich, dass so etwas nicht ungefährlich sein kann. Schließlich machen sich die anderen Ärzt*innen selbst damit zur Zielscheibe, selbst zum potentiellen Opfer. Auch frage ich mich, wie Addison an die ganzen Nummern geraten ist, nachdem die Anrufe bis jetzt immer anonym waren und Addison ja nicht bei der Polizei arbeitet, wodurch sie vielleicht an solche Informationen gelangen könnte. Wie gesagt, irgendwie stimmen bei dieser Folge für mich die Details nicht.

Nachdem Amelia in ihren Augen von allen in der letzten Episode verlassen und im Stich gelassen wurde, suhlt sie sich nun im Selbstmitleid und lässt ihren Unmut dabei sämtliche ihrer Kolleg*innen zu spüren bekommen, besonders aber Winston und Mika. So wirft sie Winston vor, am Ende seiner Ehe mit Maggie schuld und für ihr Fortgehen verantwortlich zu sein – und ignoriert dabei geflissentlich, dass Maggie all diese Entscheidungen selbst getroffen hat. Dass Amelia eigentlich in der ganzen Sache auf Winstons Seite war, hat sie ebenso vergessen. Besonders unfair wird sie aber in dem Punkt, dass sie Winston Chancen auf eine eigene, große Karriere vollkommen abspricht – davon lässt sich dieser aber nicht beirren und bewirbt sich offiziell bei Teddy als Maggies Nachfolger. Dass es Owen nicht gelingt, hier für Amelia tatsächlich da zu sein und sie davon abzuhalten, Mika als ihren punching bag zu missbrauchen, hat mich etwas enttäuscht, aber nicht überrascht. Immerhin konnte Addison ihr radikal den Kopf waschen und ihr verdeutlichen, dass niemand sie verlassen hat und Amelia sich endlich aus ihrer Abwärtsspirale befreien muss. Das war wirklich bitter nötig, denn Amelia zählte für mich wirklich zu den großen Verlierer*innen dieser Folge und hat sich nicht gerade von ihrer besten Seite gezeigt. Zwar ist es vollkommen verständlich, dass sie unter den Veränderungen zu leiden hat, doch ich hätte mir irgendwie gewünscht, dass Amelia von alleine klar wird, was sie eigentlich nicht verloren hat (allen voran natürlich ihr Sohn Scout). Immerhin erfüllt sich meine Prognose und Webber scheint sich am Ende ihrer anzunehmen. Hoffentlich können die beiden sich so unterstützen, wie sie es bereits in der Vergangenheit getan haben.

Ähnliches erhoffe ich mir für Mikas Storyline. Von den ursprünglichen Teasern her hatte ich zwar gedacht, dass ihre eigene Abwärtsspirale viel heftiger verlaufen würde, dennoch ist es unverkennbar, wie Mika mehr und mehr die Kontrolle über die Situation verliert. Am besten war hier natürlich Helm, die wieder mal die Show stiehlt und Teddy klipp und klar verdeutlicht, dass ein Ausbildungsprogramm, das seine Assistenzärzt*innen, so wie selbst, bis an den Rand ihrer finanziellen, physischen und psychischen Grenzen treibt, eine Generalüberholung benötigt. Teddy wirkt aber auf mich bisher wie eine sehr kompetente Krisenmanagerin und Chefärztin, weswegen ich mir gut vorstellen kann, dass sie tatsächlich Veränderungen implementieren wird, die den Anfänger*innen helfen werden. Vielleicht sorgt das auch für die baldige Rückkehr Helms ins Krankenhaus.

Mein zweiter Show Stealer ist im Übrigen wieder mal Levi, der nicht nur als strenger, aber guter Lehrer, sondern auch liebevoller und hilfsbereiter Freund zeigt und eine besorgte Jo aufmuntern kann. Die Storyline um Luna, die zuvor noch groß aufgebauscht wurde, scheint aber nun genauso schnell zu verpuffen, wie sie gekommen ist. Da Luna keine gravierenden Probleme hat, sondern "nur" normalen Hörverlust, kann Jo ihre Sorgen offenbar loslassen und sich bei Link für ihr erneut unfaires Verhalten entschuldigen. So sehr es mich freut, dass mit dieser Storyline die Schwierigkeiten von Eltern von Kindern mit Behinderung dargestellt werden, wünsche ich mir im Moment ein bisschen, dass sie nicht erzählt worden wäre. Jo ist dabei nicht wirklich gut weggekommen und hat einem Link, der sich immer nur unterstützend und aufmerksam präsentiert hat, stets den Wind aus den Segeln genommen. Zudem wirkte es für mich in der letzten Folge so, als wäre sie grundsätzlich überfordert mit Lunas Beeinträchtigung, nicht nur mit den eventuell darunter liegenden medizinischen Komplikationen. War ich vor kurzem noch selbst überrascht, wie angetan ich von einer Annäherung von Jo und Link wäre, muss ich nach dieser Storyline meine Meinung leider wieder revidieren. Es ist schon ein bisschen verhext mit den beiden: In der letzten Staffel hat Link sich Jo gegenüber unmöglich verhalten, nun hat sich der Spieß leider umgedreht.

Die beiden Anfänger*innenromanzen werden ebenfalls thematisiert, indem mit Jules und Lucas eine Kombi eingeführt wird, die mich irgendwie an die Dynamik von Cristina und Alex erinnert hat. Während Lucas dabei sich als wahrer Romantiker entpuppt, der nicht von Simone loskommen kann, hat Jules sich dazu entschlossen, nachdem sie in der Vergangenheit auf Anraten ihrer Eltern hin ihre Beziehungen priorisieren hat, ihre Karriere zu fokussieren. Ein offizielles Date mit Blue schlägt sie deswegen aus und muss daraufhin teils spöttisch, teils etwas eifersüchtig feststellen, dass dieser nun ein Date mit einer Pflegerin hat. Lucas hingegen zieht endlich die Konsequenzen aus dem Hin und Her mit Simone und kann mit einem Deal seine Brautjungfer-Pflichten an Jules abgeben. Da Jules und Lucas meine Liebsten Anfänger*innen sind, ich ihre Kappeleien lustig und den Patientenfall recht süß fand, mochte ich diese Storyline ziemlich gerne.

Fazit

Schlecht war die Folge nicht, aber wenn ich meine Review nun überblicke, steht für mich eines leider fest: Irgendwie war einfach der Wurm drin. Die Storylines um Owen oder Addisons erneute Rückkehr wirkten merkwürdig und beinahe konstruiert, Amelia und Jo fallen in alte Muster und bei vielem blieb für mich ein Fragezeichen zurück. Irgendwie schmerzt es mich angesichts der vielen auch starken Momenten der Folge keine besonders gute Bewertung zu geben, doch insgesamt bleibt ein ziemlich durchmischter Eindruck zurück. Daher leider nur fünf von neun Punkten.

Lux H. - myFanbase

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