Bewertung

Review: #6.01 40 Tage (1)

Eine so seltsame Staffelpremiere habe ich noch nie erlebt. Oder besser gesagt hatte ich noch nie so seltsame Gefühle bei einer Staffelpremiere. Obwohl ich eigentlich sehr nahe am Wasser gebaut bin, hat mich Georges Tod emotional überraschend wenig bewegt, was mich wiederum dazu bewegt hat, mich zu fragen, warum das so ist. Sicherlich hat die Tatsache, dass ich schon Wochen vor der Ausstrahlung der Episode wusste, dass George nicht überleben würde, dazu beigetragen, dass ich sehr gefasst war, aber ich habe schon andere Serienepisoden und Filme erlebt, wo ich vorher wusste, dass es einen Todesfall geben würde, und trotzdem einen Monatsvorrat an Taschentüchern verbraucht habe. An meinem vorherigen Wissen lag es also nicht, sondern vielmehr an der Art, wie die ganze Geschichte um Georges Tod inszeniert wurde.

Zunächst einmal sieht der hirntote, an vielen Maschinen angeschlossene George in den wenigen Szenen, in denen er noch zu sehen ist, überhaupt nicht wie George aus. Ich weiß nicht, ob es überhaupt noch T.R. Knight in der aufwendigen Maske war, oder ein Double, aber auf jeden Fall hat man als Zuschauer dadurch, dass George nicht zu erkennen ist, einfach mehr Abstand. Man weiß, es ist George, aber das Auge, das Gefühle nun einmal entscheidend mittransportiert, sieht nicht George, sondern ein geschwollenes Gesicht ohne vertraute Gesichtszüge. Der kurze Einschub, dass alle glauben, Meredith müsse sich geirrt haben und der Patient sei gar nicht George, macht den starken 007-Moment aus der vorherigen Episode ein wenig kaputt. Es ist zwar verständlich, dass sich alle an einen Strohhalm klammern und hoffen, dass es doch nicht George erwischt hat, dennoch empfand ich es als unpassend, wie Meredith angegangen wird.

Natürlich sind, als die Gewissheit da ist, dass es sich bei dem hirntoten Patienten um George handelt, alle tief bestürzt, vor allem Callie zeigt starke Reaktionen und bricht fast zusammen. Alex, Meredith und Cristina reagieren dagegen recht gefasst und konzentrieren sich auf Izzie, die überlebt hat, aber natürlich noch etwas instabil ist. Interessant ist hier, dass sich Izzie zwar daran erinnert, während ihres Herzstillstandes George gesehen zu haben, diese Begegnung aber falsch deutet und glaubt, es sei eine Warnung gewesen, dass George nicht als Arzt in den Irak gehen darf, da er dort getötet wird. Ich hätte eher vermutet, dass Izzie aufwacht und weiß, dass George tot ist, so wie Meredith nach ihrer Nah-Tod-Erfahrung wusste, dass ihre Mutter gestorben ist (#3.17 Tot). Es wird aber auch sicher niemand behaupten, dass sich Träume, Visionen und Halluzinationen gemeinhin durch Logik und Klarheit auszeichnen. Dass Izzie Mühe hat, ihre kurze Nah-Tod-Erfahrung zu interpretieren, ist durchaus glaubwürdig.

Die Beerdigung ist letztlich die größte Enttäuschung dieser Episode. Der hysterische Lachanfall von Izzie, von dem sich Meredith, Cristina und Alex anstecken lassen, ist natürlich gewagt, da er das Empfinden des Zuschauers für Feingefühl und Respekt angreift. Dennoch konnte ich es zunächst ein wenig verstehen. Es wird hier ausgedrückt, wie absurd und unerwartet sich Schicksale entwickeln. Wer hätte nach den ersten drei Episoden von "Grey’s Anatomy" gedacht, dass George sechs Jahre später tot sein würde, Izzie an Krebs leidet und mit Alex verheiratet ist, und Meredith und Derek sich mittels eines kleinen blauen Zettels das Ja-Wort gegeben haben? Dass dann aber die schwer angeschlagene Amanda weinend an den vier Ärzten vorbeigeht und diese bei ihrem Anblick noch einmal in großes Gelächter ausbrechen, hat mir nicht gefallen und mich eher wütend gemacht. Das wirkt doch etwas zu sehr nach Auslachen. Diese Szene hätte man sich meiner Meinung nach schenken können. Amandas Gefühlswelt wird auf diese Weise fast ins lächerliche gezogen und als alberne Überreaktion dargestellt, dabei bräuchte die junge Frau eher Mitleid und Unterstützung. Ein Mensch hat vor ihren Augen sein Leben für sie geopfert, mich an Amandas Stelle würde das auch schwer belasten. In ihrer momentanen Verfassung erscheint Amanda sogar selbstmordgefährdet und sollte sie sich wirklich etwas antun, wäre Georges Opfer umsonst gewesen. Das kann wohl kaum im Sinne seiner Freunde sein.

Am interessantesten ist am Ende dieser Episode, wie es mit Bailey weitergeht. Sie wirkt beinahe schon katatonisch, total abwesend, schweigsam und regungslos. Kein Wunder, ihre Kräfte werden regelrecht aufgezerrt. Erst der Kampf um Izzies Leben, dann der Tod von George, zu dem sie spätestens nach seiner Unterstützung während ihrer Wehen eine besondere Verbindung hatte (sie hat ja auch ihrem Sohn den Namen William George gegeben), und dazu noch ihre Scheidung. Bailey ist stark, aber nicht unzerstörbar.

Die Tragik um George nutzt der Vorstand des Seattle Grace Hospitals, um einen Dolchstoß vorzubereiten. Webber soll hinterrücks abgesetzt werden. Nachdem die vorherige Staffel damit begann, dass das Seattle Grace auf den 12. Rang unter den amerikanischen Lehrkrankenhäusern abgerutscht ist, scheinen in dieser Staffel die Konsequenzen so richtig spürbar zu werden. Die fetten Jahre sind vorbei.

Maret Hosemann – myFanbase

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