Review: #4.06 Die andere Frau

Willkommen zurück, Flashback!

Nach diversen aufregenden Flashforwards (#4.01, #4.03, #4.04), einem Multiple-Flashback (#4.02) und einem mehr als verwirrenden, aber unglaublich genialen Flashtime (#4.05) haben wir sie wieder zurück: die gute, alte Flashback-Episode. Die Ehre gebührt Juliet und was diesmal ans Tageslicht kam, bestätigte eigentlich nur, was wir die ganze Zeit über schon wussten: man sollte sich nicht mit Ben anlegen.

"It's very stressful being an Other."

Juliets Flashback führt uns etwa drei Jahre zurück in der Zeit und findet ausschließlich auf der Insel statt. Es füllt die Lücken aus dem Flashback in #3.16 Eine von uns und ermöglicht es uns, auf verschiedene Dinge einen Blick aus einer völlig neuen Perspektive zu werfen.

Zunächst einmal steht vor uns wieder die "alte" Juliet: schüchtern, etwas naiv, etwas unsicher. Man könnte fast schon sagen, zerbrechlich. Und wir haben die Psychologin Harper Stanhope, die wirklich angsteinflößend sein kann, wenn sie pitschnass und mitten in der Nacht plötzlich vor einem steht. Harper entpuppt sich bald als Goodwins Frau und so ist schon von Anfang an klar, dass Juliet und Harper höchstwahrscheinlich keine dicken Freundinnen werden. Denn Juliets Alleinsein und ihre Verzweiflung, als alle schwangeren Frauen sterben, die unter ihrer Obhut stehen, treiben sie förmlich in die Arme von Goodwin, was nicht nur Harper, sondern auch Ben nicht gerne sieht.

Warum? Na, weil Ben in Juliet verliebt ist. Ja, verliebt.

Harper weiß um Bens Gefährlichkeit und aus Sorge um ihren Mann, der seit einem Jahr ihre Couch hütet, warnt sie Juliet vor Ben. Doch diese hat leider keine Ahnung, zu was Ben wirklich fähig ist. Zu wirklich unheimlichen Dates zum Beispiel. Tipp: Wenn ein Lügner/Soziopath/Massenmörder euch zu einer "Dinner Party" einlädt, checkt davor lieber, ob auch tatsächlich andere Leute eingeladen sind.

Bens verliebtes, aufgeregtes Verhalten gegenüber Juliet zeigte uns eine komplett neue Ebene seines Psychodaseins. Ihr dachtet, dass dieser Mann nicht mehr gruseliger werden könnte? Falsch gedacht. Die verliebt-obsessive Version von Ben toppt alles Bisherige. Es ist fast schon surreal, den sonst so berechnenden, kontrollierten Ben auf Wolke 7 schweben zu sehen. Dennoch hat man auch irgendwie Mitleid mit ihm, als er Juliet zu gefallen versucht. Doch Ben ist nicht Juliets Romeo.

Schließlich sehen wir den Flugzeugabsturz der Oceanic-Maschine ein drittes Mal aus der Sicht der Anderen. Diesmal wird allerdings wieder eine neue Bedeutungsebene hinzugefügt, als man uns zeigt, wie sich Juliet, Goodwin und Harper bedeutungsschwere Blicke zuwerfen. Es ist großartig, wie eine Szene drei Mal gezeigt werden kann und durch verschiedene Schwerpunkte jedes Mal etwas Neues enthüllt wird. Unter einem völlig neuen Blickwinkel steht nun auch Goodwins Undercovermission bei den Tailies, deren Zweck es schlussendlich war, dass Goodwin auffliegt und getötet wird. Das erkennt Juliet schließlich zu spät, als Ben sie zu Goodwins aufgespießter Leiche führt. Definitiv ein Highlight ist Bens folgende "Liebeserklärung" ("Your mine!!"), die einem das Blut in den Adern gefrieren lässt, vor allem, da man Harpers Bemerkung im Hinterkopf hat, dass Juliet "ihr ähnlich sieht". Nun ist die große Frage: Wem sieht Juliet ähnlich? Bens Jugendliebe Annie (die allerdings braunhaarig war)? Womöglich Bens verstorbener Ehefrau, die wir noch nicht kennen? Bens Mutter? Es würde mich nicht wundern, wenn Ben eine Art skurrilen Ödipus-Komplex hätte.

Schließlich stellt Juliets Flashback vor allem noch viele weitere Fragen: Was ist mit Zack und Emma, den beiden Kindern, die die Anderen entführt hatten und die nun bei ihnen leben? Was ist die sagenumwobene Liste, die niemand in Frage stellen darf? Welche Art von Arbeit hat Goodwin ausgeführt, die laut seiner Aussage jeden auf der Insel töten könnte, wenn er den falschen Schalter drückt? Wieso ist Ben nicht erstaunt, als Juliet ihm sagt, dass Jack ein Wirbelsäulenchirurg ist? Und wieso hat Michael Emerson eigentlich noch keinen Golden Globe gekriegt?

"I always have a plan."

Wie immer rockt Michael Emerson schlicht und ergreifend in der Rolle des Ben. Und wie immer ist es ein Vergnügen, Locke und Ben zusammen zu sehen. Es ist unglaublich, wie Ben Locke in der Hand hat, wie er mit seiner Neugier spielt und dank seines psychologischen Feingefühls Locke ein weiteres Mal überlisten kann. Doch Locke beweist dieses Mal mehr Stärke als sonst und beginnt sich gegen Ben zu wehren. Eine herrliche Szene, als er auf Bens Sarkasmus selbst mit Sarkasmus reagiert und ihm eine Dollarnote in die Hand drückt.

So hat sich Ben nun geschickt seine Freiheit zurückgeholt. Teil des Plans? Aber klar. Ben hat schließlich immer einen Plan. Doch hat er Locke wirklich die Wahrheit gesagt? Ist Charles Widmore wirklich der Auftraggeber der Boaties? Wenn ja, was will er von Ben und der Insel? Weiß Penny von Widmores Machenschaften? Wenn wir uns an #3.23 Hinter dem Spiegel (2) erinnern, scheint das unwahrscheinlich, da Penny ja sagte, dass das Boot nicht von ihr geschickt wurde und sie selbst sehr erstaunt darüber war, als Charlie sie danach fragte. Arbeiten Vater und Tochter also gegeneinander oder einfach nur separat voneinander? Wer ist der Mann mit der Augenbinde? Und vor allem: Sagt Ben die Wahrheit?

Ben? Wahrheit? Hallo?

So überzeugend Bens Geschichte auch geklungen haben mag, die Wahrheit ist sie sicherlich nicht. Zumindest nicht die ganze Wahrheit. Dass Charles Widmore der Drahtzieher sein soll, ist fast schon absurd simpel und einfach nicht zufrieden stellend. Mir scheint Bens Story daher vielmehr eine Lüge zu sein, um Locke zufrieden zu stellen und zur Kooperation zu bringen. Da muss einfach noch mehr dahinterstecken.

Was ist nun mit Bens Mann auf dem Frachter? Wie gemein, dass genau eine Sekunde vor der Antwort der Cut kommt. So können wir weiterhin nur spekulieren: Wieso meint Ben, Locke sollte sich hinsetzen? Ist Bens Mann eine für Locke relevante Person? Ist es, wie die Fangemeinde seit Wochen vermutet, tatsächlich Michael? Vielleicht Walt, was Locke sicherlich überraschen würde? Ist der Mann vielleicht eine Frau und es ist Helen? Wie wär's mit Boone? Okay, meine Theorien werden abstrus – lassen wir uns überraschen...

"You said they are friends... aren't they?"

Am Strand warten die Losties währenddessen immernoch vergeblich auf Rettung, sodass Charlotte und Daniel die Gunst der Stunde nutzen und sich in den Dschungel verdünnisieren. Jack schickt Jin, Sun und Juliet los, um nach ihnen zu suchen und macht sich selbst auf den Weg. Da hört Juliet plötzlich die mysteriösen Stimmen im Dschungel, die nie etwas Gutes bedeuten – und siehe da, Harper taucht wie aus dem Nichts auf.

Nun, eines von den 4,815,162,342 Mysterien in "Lost" sind die berüchtigten flüsternden Stimmen, die wir innerhalb der letzten drei Staffeln vielmals erlebt haben. Sei es bei Sayids Suche nach Danielle im Dschungel (#1.09) gewesen, kurz vor Shannons tragischem Tod (#2.07) oder als Hurley Jacobs Hütte sah (#4.01) – die Stimmen geben immer wieder neue Rätsel auf. So stellen sie diesmal in Frage, ob Harper tatsächlich dort im Dschungel bei Juliet gewesen ist. Dass Harper real war, dafür spricht natürlich, dass auch Jack mit ihr redete. Allerdings, wie erklärt man dann, dass Harper so plötzlich auftauchte und genauso plötzlich wieder verschwand? Und dass beide Momente von den Stimmen begleitet waren?

Weiterhin drängt sich die Frage auf, ob Harper die Wahrheit gesagt hat. Kommt sie wirklich im Auftrag von Ben? Denn wie sollte sie mit ihm kommunizieren, wenn Ben eingesperrt ist? Und woher sollte Ben überhaupt von Daniels und Charlottes Vorhaben wissen?

Daniel und Charlotte sind also auf den Weg zum Tempest, einer weiteren Dharma-Station und wie es der Zufall so will, treffen die beiden bei ihrer Tour auf Kate, die unterwegs zurück zum Strand ist. Charlotte und Kate mögen sich auf Anhieb und als Charlotte merkt, dass ihre Lügengeschichte Kate überhaupt nicht überzeugt, streckt sie diese einfach nieder und beantwortet Daniels entsetzt-beeindruckten Blick mit einem lässigen "Wha'?". Sehr geiler Moment und erster Pluspunkt für Charlotte.

Die beiden Boaties erreichen schließlich die Tempest-Station, werden jedoch von Juliet aufgehalten. Während Daniel Juliet zu beschwichtigen versucht, verschwendet Charlotte nicht viele Worte und verwickelt Juliet in einen Catfight – wow! Daniel schafft es letztlich, das, was auch immer er tun wollte, zu tun und bewahrt alle vor dem Tod. Oder? Es ist noch nicht ganz klar, was genau Charlottes und Daniels Absichten sind. Bens Wort steht hier gegen ihres: während Harper behauptet, dass die beiden das Gas freilassen wollen, behaupten Charlotte und Dan, dass sie das Gas sicherstellen wollen. Fakt ist jedenfalls, dass keiner tot ist. Fakt ist auch, dass man Bens Wort nicht unbedingt trauen sollte. Sind die Boaties also hier, um den "Krieg gegen Ben" aufzunehmen, so wie Juliet es Jack gegenüber meinte? Dies würde jedenfalls mit der Tatsache zusammenpassen, dass Widmore deren Auftraggeber ist, da dieser Ben haben will.

Nachdem das ganze Chaos vorbei ist, überraschen uns die "Lost"-Macher schließlich noch mit einem Kuss zwischen Jack und Juliet. Eine sehr schöne, innige Szene. Wenn das Jack/Juliet/Kate/Sawyer Liebesrechteck weiterhin so subtil behandelt wird, wie es bisher in der vierten Staffel der Fall war, sehe ich auch kein Problem darin, weiterhin solche Momente zu bringen.

"You killed one, Ben shot one, now we're holding one prisoner."

Neben einem aufschlussreichen Flashback, interessanten Entwicklungen zwischen Locke und Ben sowie einem immer liebenswürdigeren Daniel, den ich mittlerweile komplett ins Herz geschlossen habe, bot diese Episode aber vor allem noch eines: fast alle Castmitglieder. So hatten wir noch ein sehr gutes Gespräch zwischen Claire und Locke, das womöglich dazu führen könnte, dass wir bald Claire und Miles zusammen sehen. Zudem bekamen wir, wenn auch nur kurz, Jin und Sun zu sehen.

Und zum Schluss gab es dann noch diese absolut fantastische Szene zwischen Sawyer und Hurley, denen die Augen aus dem Kopf fielen, als Ben mit einem süffisanten "See you guys at dinner!" in das Haus neben ihnen einzieht

Ben als Nachbar? Da wird einem doch warm ums Herz. Das gibt einen Extrapunkt und insgesamt 8 von 9 Punkte für eine sehr solide, gute, alte Flashback-Episode.

Maria Gruber - myFanbase

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